Predigt zur Einführung in der Matthäusgemeinde
über 1. Korinther 3, 9-17 (von Pastor Ulrich Menzel)
9 Wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. 10 Nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe ich den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. 11 Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
12 Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, 13 so wird das Werk eines jeden offenbar werden.
Der Tag des Gerichts wird es ans Licht bringen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. 14 Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. 15 Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.
16 Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? 17 Wenn jemand den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott zerstören, denn der Tempel Gottes ist heilig – der seid ihr.
Liebe Gemeinde,
am vergangenen Dienstag berichtete die Ostfriesen-Zeitung über Max und Chris, nein: Pastor Max und Pastor Chris. Eigentlich heißen die beiden Maximilian Bode und Christopher Schlicht. Seit kurzem teilen sie sich eine Pfarrstelle in einer Kirchengemeinde in Bremerhaven, in einem Stadtteil, der ein sozialer Brennpunkt ist. Das Foto zeigt die beiden cool auf ihren Skateboards durch die moderne Kirche rollern. Der Text erzählt, dass sie im Gottesdienst keinen Talar tragen, sondern nur Jeans und Kollarhemd – ihr wisst schon, dieses Dings mit dem Stehkragen, das die Priester in Filmen immer anhaben. Die Kanzel haben sie noch nie betreten. Wenn sie predigen, dann vorne vor dem Altar. Sie wollen nicht „von oben herab kommen“, so erklärt einer der beiden. Neue Mitglieder hat die Gemeinde auch schon bekommen. Zwei. Und nur einer ist in derselben Zeit ausgetreten. Ganz gegen den Trend. Cool.
Auf der Auricher Lokalseite derselben Zeitungsausgabe steht „Neuer Pastor kommt“. Und ein Foto von mir: freundlich und seriös, der Neue. Der Text erzählt, dass ich heute eingeführt werde und dass wegen Corona nicht viele Leute kommen dürfen. Und dass ich über 2. Kor 12,10 predigen werde – was im Übrigen nicht stimmt, wie ihr vielleicht schon gemerkt habt… Aber das konnte meine Kollegin auch nicht wissen, als sie die Information an die Zeitung weitergab.
Meine Partnerin sagt: „Ehrlich gesagt, so als Zeitungsleserin spricht mich der Artikel über die Skateboard-Pastoren ja mehr an.“ Aua, das tut ein bisschen weh. Ein Stich. Aber später sprechen wir noch einmal darüber und sie sagt, dass sie damit nicht meine, ich müsste mir jetzt auch die Haare lila färben und mit dem Skateboard durch die Kirche fahren. Der Artikel über die Kollegen in Bremerhaven beschreibe einfach etwas, das man in der Kirche klassischerweise nicht erwarte und sei darum interessanter.
Trotzdem denke ich selbst: Die Jungs in Bremerhaven sind schon cool – auch wenn sie wahrscheinlich für die Zeitung ein bisschen angeben… Sicher kochen auch sie nur mit Wasser. Und Skateboardfahren-Können macht ja noch keinen guten Pastor aus.
Aber wenn ich dann mein eigenes Bild in der Zeitung angucke – es ist übrigens dasselbe, das auch vorne an der Fassade des Gemeindehauses hängt – denke ich: Ein bisschen langweilig… „Würden Sie diesem Mann einen Gebrauchtwagen abkaufen?“ – Ja, durchaus möglich.
Nur, dass ich eben kein Gebrauchtwagenhändler bin und auch keiner werden möchte!
Auch in der Kirche sind wir nicht frei davon zu vergleichen: Wir haben aber einen besseren Gottesdienstbesuch als ihr. Ihr habt die zugewandteren, weltoffeneren und sympathischeren Pastoren und Pastorinnen. Bei uns gibt es mehr musikalische Gruppen, weniger Austritte, mehr Taufen, engagiertere Ehrenamtliche, mehr Kinder im Kindergottesdienst usw. usw.
Dieses Vergleichen macht nicht nur unglücklich. Es führt auch zu Grüppchen- und Cliquenbildung, zu Arroganz oder auf der anderen Seite Selbstentwertung und Mutlosigkeit.
Und: Von alledem bin auch ich, wie ihr gesehen habt, nicht frei.
Schon in der von Paulus gegründeten Gemeinde in Korinth war das so: Da meinten die einen: Paulus, das ist das Urgestein – ohne ihn wäre unsere Gemeinde gar nicht vorhanden, die nächsten hielten sich mehr an einen Mann namens Apollos, die dritten schließlich schworen auf Kephas.
Und ich kann mir vorstellen, dass dadurch allerlei Spannungen in der Gemeinde vorhanden waren, wer denn nun Recht hätte, wer besser predige und wem überhaupt in Glaubensdingen zu folgen sei.
„Wir sind Gottes Mitarbeiter“, schreibt Paulus nun den Leuten in Korinth und spricht von einem Ackerfeld.
Einen Acker kann man bebauen, man kann etwas anpflanzen, düngen, gießen, aufpassen, dass die Vögel nicht alles wegfressen, Schädlinge vertreiben usw. Aber eins kann man nicht: Machen, dass es wächst. Aufgehen muss die Saat von alleine. Die Gärtnerin oder der Landwirt können nur die Voraussetzungen dafür schaffen.
So, denkt Paulus, arbeiten auch Gottes Mitarbeiter: Sie schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Gottes Saat aufgeht: Sein Wort, die Botschaft, dass wir richtig und geliebt sind, auch wenn uns so oft im Leben etwas nicht gelingt.
Was aber zeichnet einen Mitarbeiter aus? – Eben genau das, dass er mit-arbeitet. Mit Gott, mit anderen Menschen und eben nicht alleine. Es zeichnet ihn aus, dass er seine Arbeit als Teil des großen Ganzen begreift, von dem er weiß, dass er es nicht alleine bewerkstelligen kann. Und dass er darum nicht eifersüchtig auf andere schielt, sondern sich selbst mit seinem Beitrag wichtig nimmt und die Beiträge der anderen schätzt.
Entscheidend bei allem Arbeiten und Mit-Arbeiten auf diesem Acker ist nun aber eins: der Grund – oder anders gesagt: der Boden, auf dem etwas angebaut oder ein Haus aufgerichtet wird.
Genau diesen Grund, sagt Paulus, sollen und können wir nicht verändern: Der Grund heißt immer wieder Jesus Christus.
Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter predigen nicht sich selbst, sondern Jesus Christus, wie Paulus an anderer Stelle betont.
Was auch immer wir auf diesem Boden bauen, entscheidend bleibt der tragende Grund: Ob ich Skateboard fahren kann oder eher brav rüberkomme, ob ich Jeans trage oder Talar, ob ich Teetafeln veranstalte oder Konzerte, ob ich Techno oder Metal-Music in die Kirche hole, ob ich einen tollen YouTube-Auftritt habe oder einen gepflegten Friedhof – entscheidend ist nicht das, sondern der Grund, der all diese Arbeit trägt, der die Saat von Gottes Wort aufgehen lässt, der ein Fundament für das Haus unserer Gemeinschaft bildet.
Das Bild vom Feuer im Gericht, das manche vielleicht erschreckt oder befremdet hat, ist dabei nicht als Drohung zu verstehen. Es macht vor allem deutlich, dass es bei den Dingen, die wir auf den bleibenden Grund setzen, Sachen gibt, die Bestand haben, und andere, die schnell vergehen. Und wir sollen darauf achten, auf welche Weise wir auf den Grund aufbauen: Wird das Bestand haben oder nicht?
Dabei ist der Bezug zum Baugrund wichtig. Was also bedeutet „auf Christus bauen“?
Es bedeutet für mich ganz besonders, loszulassen vom eigenen Leistungsdenken. Ich muss nicht erst etwas schaffen, um etwas zu gelten. Ich bin von Gott geliebt, so wie ich bin.
Und je mehr ich versuche, durch irgendwelche Leistungen, Anstrengungen, tolle Taten und besondere Verdienste mich aufzuwerten, desto weiter entferne ich mich von dem Grund Jesus Christus.
Das ist nicht nur eine Botschaft, die an mich und jeden anderen einzelnen von uns gerichtet ist. Das reicht in meinen Augen noch viel weiter:
Ich muss an die Corona-Pandemie denken. Ich bin weit davon entfernt, sie als Gottes Gericht an den Menschen anzusehen. Aber eins ist einem Gericht durchaus ähnlich:
Diese Krise zeigt nämlich, ähnlich wie das Gericht, von dem Paulus spricht, worauf es im Leben wirklich ankommt, welches Bauen Bestand hat.
Oder in der Sprache der „neuen Normalität“ gesagt: was „systemrelevant“ ist.
Und siehe da: Es sind nicht die Modeschöpfer, nicht die Unterhaltungsindustrie und nicht die Kreuzfahrtbranche, die uns am Leben erhalten. Es sind stattdessen ganz elementare Tätigkeiten, die fürs Leben und Überleben relevant sind: Lebensmittel produzieren und verkaufen, Abfall entsorgen, die Stromversorgung sicherstellen, Kranke pflegen, Menschen trösten und vieles mehr.
Kritiker unseres Wirtschaftssystems weisen schon lange darauf hin, dass in unserer Gesellschaft die falschen Werte gelten. Unser gesamtes Wirtschaftssystem baut nämlich darauf auf, dass möglichst viel
materieller Gewinn erzielt wird. Dafür müssen wir immer mehr leisten – und vielleicht noch schlimmer: die Menschen in anderen Ländern und die Umwelt auch.
Ich glaube: Das Gebäude, das in dieser Weise gebaut wird, wird keinen Bestand haben. Und es hat nicht zu tun mit dem Grund, der da heißt Jesus Christus.
„Auf Christus bauen“ bedeutet für mich gerade nicht Leistung, schon gar nicht Zahlen oder materieller Gewinn. Es bedeutet für mich, so wie Christus berührbar zu sein, das Glück und das Leid anderer zu teilen und ihre Wege mitzugehen.
Ich hoffe, ich muss nicht eigens erwähnen, dass das nicht nur Pastorinnen und Pastoren vorbehalten ist…
Ich sage das, weil ich an diesem Tag eine Mischung empfinde: Ich freue mich und bin zugleich auch etwas beschämt für die viele Aufmerksamkeit, die mir aktuell zuteilwird. Und ich verspüre das Bedürfnis, die Aufmerksamkeit auch auf die vielen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes zu lenken: diejenigen, die hier in der Matthäus-Gemeinde sich so viele Gedanken machen und mit anpacken – und auch diejenigen, die das an vielen anderen Orten der Welt tun.
Meine liebe Kollegin Silke hat mehrfach versucht, mich im Hinblick auf den heutigen Tag zu beruhigen: „Das ist kein Personenkult – wir feiern ein Fest der Gemeinde. Und wir freuen uns, dass du da bist, und es ist – gerade auch in diesen Zeiten – ein Signal: Wir als Matthäus-Gemeinde sind noch da. Wir stehen zusammen – und feiern, in dem Rahmen, der uns möglich ist.“
Liebe Silke, liebe Gemeinde, so soll es sein:
Wir alle, ihr alle: Gottes Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Grund, der gelegt ist in Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus.
Amen.